13.08.2020 von Mag. Roland Nagel, MBA.

Eine der Hauptfragen, nicht nur von politischen Entscheidungsträgern, sondern in mittlerweile allen Pflegesettings (KH, Langzeitpflege, mobile Dienste) angekommen ist die Frage nach der Besetzung der offenen Posten. Alle Qualifikationsniveaus sind gefragt, denn es herrscht ein nicht mehr zu übersehender Personalmangel. Bei aktuellen Betrachtungen der Herausforderungen wird häufig die Tatsache übersehen, dass sich zur gegenwärtig angespannten Ausgangssituation noch tausende Pflegeexpertinnen und Experten in den nächsten Jahren in die wohlverdiente Pension verabschieden werden.

DIE Einzellösung um passende Ergebnisse rasch zu erzielen existieren meines Erachtens nicht. Eine Vielzahl von Maßnahmen ist zu ergreifen, um eine Trendwende einzuleiten, die rein quantitativ keine rasche Beruhigung erbringen kann. Der Mangel ist überall spürbar, aber welche Möglichkeiten bestehen tatsächlich, um einen Gegentrend einzuleiten?

Faktum ist und bleibt, wir schaffen uns jetzt letztlich die Art von Pflege, die wir selbst einmal im Sinne des darstellbaren hohen Lebensrisikos mit großer Wahrscheinlichkeit in Anspruch nehmen werden. Nicht nur deshalb gilt es aufmerksam hinzusehen mit welchen Ideen der Finanzierung, der Qualitätssicherung und allerlei Versprechen zur Personalgewinnung am politischen Bankett herumhantiert wird.

„Dem Problem der wachsenden Zahlen an betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen muss mit einem entsprechenden Ausbau der Pflegedienstleistungen begegnet werden. Da es sich um persönlich zu erbringende Dienstleistungen handelt, stellt die Zahl und die Qualifikationsstruktur der Beschäftigten im Pflegedienstleistungsbereich die wesentlichste Grundlage für diesen Ausbau dar.“ http://www.hauptverband.at/cdscontent/load?contentid=10008.628349&version=1456328418

Die nächste Generation an pflegebedürftigen Personen erwartet sich vermehrt Professionisten in der Pflege, sodass der Rückgriff auf pflegende Angehörige auch aus diesem Gesichtspunkt weniger werden. Unsere Gesellschaft aber auch unsere personellen und ausbildungstechnischen Möglichkeiten sind auf die Zunahme der Multimorbidität und Hochaltrigkeit nicht ausreichend vorbereitet. Dies impliziert eine Adaptierung der jeweiligen Ausbildungsverordnungen und Curricula, die vermehrt auf die beschriebene Tatsache Rücksicht nehmen müssen. Die Vermittlung von Lehrinhalten in Theorie und Praxis darf den tatsächlichen Bedarf an pflegerischen Dienstleistungen nicht übersehen.

Auf der Makroebene ist die Finanzierung aus einer Hand längst überfällig. Das Gesundheits- und Sozialwesen darf nicht getrennt betrachtet werden. „Um all diesen wirklich großen Herausforderungen nur im Ansatz gerecht zu werden, bedarf es einer klaren transparenten und kritischen Auseinandersetzung mit den strukturellen Schwächen des österreichischen Gesundheitswesens. Sektorale Trennungen, Versorgungsdefizite an den Schnittstellen, mangelnde Vernetzung der Subsysteme im Gesundheitswesen, uneinheitliche Dokumentation von Leistungen und Diagnosen, fehlende Outcome-Messungen und Wirksamkeitsnachweise, keine (aktuell wenige) definierte Qualitätsstandards, Schwachstellen in einer integrierten Versorgung (Eger, Sandholzer, 2007).“ https://pflege-professionell.at/wie-arbeitet-die-pflege-international-und-welche-perspektiven-zeigen-sich-fuer-oesterreich

Die Attraktivität der Pflege als Beruf erhöhen!

Ein Bündel von Maßnahmen ist nötig um das berufliche Engagement in der Pflege dauerhaft das Image von „cool und erstrebenswert“ zu verleihen. Aufholbedarf ist auf vielen Ebenen zu identifizieren und dies beginnt bei der gleichen Bezahlung in allen Pflegesettings, für die gleiche Qualifikation und stellt hier einen klaren politischen Auftrag dar. Diese längst überfällige Angleichung der finanziellen Entlohnung von Pflegeprofis ist aber nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Schade, dass im politischen Handeln immer zunächst die öffentlich kommunizierte Not so groß sein muss, damit Ungerechtigkeiten, die zu keiner Zeit nachvollziehbar waren nun Schritt für Schritt beseitigt werden.

Ebenso müssen sich die Rahmenbedingungen verbessern, d.h. regelmäßige Reflexion des eigenen pflegerischen Handelns zu ermöglichen, mittels Teambesprechungen, Supervision, Fallbegleitungen, Coaching. Hier fühlen sich viele Kolleginnen und Kollegen laufend im Stich gelassen.

Ein weiterer Punkt zur Attraktivierung findet sich im Langzeitpflegesektor wieder und da vor allem in den mobilen Diensten, wo alles getan werden sollte um die Verzahnung mit den weiteren Akteuren im niedergelassenen Bereich und im intramuralen Sektor besser zu vernetzen, um unnötige Wege zu vermeiden und ein herzeigbares Schnittstellenmanagement zu etablieren, indem tatsächlich der „Mensch im Mittelpunkt“ steht und nicht die Aufrechthaltung von kritisch zu hinterfragenden Strukturen. Ineffizienzen, vermeidbare Drehtüreffekte, falsche Belegungen in Akutspitäler und mangelnde Gesprächsbereitschaft zwischen den Bereichen des Gesundheits- und Sozialwesens sind nur einige Baustellen, die hier sofort präsent sind. Die Kommunikation und das Handeln in der Praxis muss auf Augenhöhe mit allen Disziplinen im Alltag gelebt werden, für das Wohl aller Beteiligten. Eine lebendige Vernetzung erachte ich hier als zentrale Aufgabe.

Ressourcen erkennen I Blockaden beenden I Prävention entdecken

Der bisher stiefmütterlich behandelte Aufgabenbereich der Prävention und der Gesundheitspflege muss im Besonderen von politischer Seite zunächst entdeckt und dann massiv ausgebaut werden. Österreich beschränkt sich im Gesundheitssystem nahezu zur Gänze auf den kurativen Bereich, was sowohl humanistisch wie ökonomisch nicht sinnvoll ist. Gesundheit befördern und erhalten, ja die Ergebnisqualität der gesunden Lebensjahre in den Mittelpunkt der gesundheitspolitischen Bemühungen zu rücken, wäre höchst an der Zeit!
Professionelle Pflegeberatung muss in allen Gesundheitssektoren und speziell bei älteren Menschen, am besten direkt vor Ort in den eigenen vier Wänden, so niederschwellig und verständlich wie möglich, massiv ausgebaut werden und leistbar gestaltet sein.

Eigenständiges Arbeiten und damit die Möglichkeit der vermehrten Selbstständigkeit als DGKP, die eigene Leistungspakete zur Abrechnung zur Verfügung hat ist deutlich zu befördern. Wir werden alle pflegerischen Professionisten brauchen und können uns nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern auch wegen des enormen Bedarfs keine Behinderung von selbständigen Kolleginnen und Kollegen erlauben. Hier muss sich der Hauptverband der Sozialversicherungsträger endlich bewegen! Was für andere Berufsgruppen möglich ist kann für die Pflege nicht auf Dauer blockiert bleiben!

Ideenpunktation zur Personalbindung und -gewinnung

  • Planbare und stabile Dienstzeiten, für eine gesicherte Freizeit
  • Finanzielle Anerkennung von erworbenen Zusatzqualifikationen
  • Weitsichtige Anrechnung von Vordienstzeiten
  • Rabattaktionen, Mitarbeiter/innenprämien, Fahrtkostenzuschüsse
  • Attraktive Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung
  • Besondere Aufmerksamkeit auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
  • Forcierung von umsetzbaren Karriereperspektiven im Unternehmen
  • Laufende Fort- und Weiterbildung mit tatsächlichem Mehrwert
  • Ausreichende Zeitressourcen einplanen für pflegerischen Handeln und Betreuung speziell bei multimorbiden Menschen in der Langzeitpflege mit spezieller Berücksichtigung von Personen mit Demenz
  • Lebendige Fehlerkultur implementieren und Transparenz auf ALLEN Ebenen stärken
  • Eigenverantwortliches Arbeiten fördern – individuelle Handlungsspielräume aufzeigen
  • Lob und Anerkennung als Regel und nicht als Ausnahme kultivieren
  • Reduktion der Dokumentation auf ein sinnvolles Maß reduzieren, wesentlich ist nicht die Quantität, sondern die Qualität, also die Aussagekraft – adäquate Schulungen anbieten

Ein POSITIVES Bild der Pflege vermitteln

Pflege ist ein hochprofessioneller, anspruchsvoller Beruf voller Möglichkeiten mit Sinn und Stabilität!

Einerseits muss es selbstverständlich sein, bestehende Problemstellungen offen anzusprechen, um rasche und nachhaltige Lösungen möglichst gemeinsam zu finden. Andererseits hinken gut gemeinte Imagekampagnen der Realität hinterher, obwohl es eine Fülle von Pflegenden gibt die mit ihrer Berufswahl zufrieden sind und nach wie vor das Positive, das Sinnstiftende und den Wert ihrer Profession Tag für Tag erleben. Authentizität und Transparenz wirkt hier stärker als die Zementierung von Sein und Schein.

Die Fülle an positiven Seiten der Pflege muss glaubhaft dargestellt werden! Es ist an der Zeit das SCHÖNE am Pflegeberuf zu unterstreichen und am glaubwürdigsten kann es mit der Überzeugungskraft der in der Praxis tätigen Kolleginnen und Kollegen funktionieren. Holen wir aus allen Pflegesettings die „Praktiker/innen“ vor den Vorhang und beginnen wir JETZT das sinnstiftende, befriedigende und TOLLE der Pflege in den vielfältigsten Bereichen vom Pflegeheim, Krankenhaus, Pflegepädagogik, mobile Dienste, Pflegewissenschaft, … und den mannigfaltigen, spannenden Spezialisierungen einer breiten Öffentlichkeit anschaulich zu vermitteln!

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