11.08.2020 von Svetlana Geyrhofer, BA.

Endlich wissen wir es: dank des Gesundheitsberuferegisters haben wir erstmals Zahlen.
Zahlen, wieviel Menschen tatsächlich einen Pflegeberuf in Österreich ausüben. Die Zahl erstaunt GesundheitsökonomInnen, PolitikerInnen und PflegeexpertInnen gleichermaßen. Mit Stand 11.08.2020 sind insgesamt 154.669 Pflegepersonen in Österreich tätig.

Die meisten davon sind diplomierte Gesundheits- und KrankenpflegerInnen (dreijährige Ausbildung/Studium) mit 100.653, gefolgt von den PflegeassistentInnen (einjährige Ausbildung) mit 52.664 und den seit 2016 neu hinzugekommenen PflegeFACHassistentInnen (zweijährige Ausbildung) mit derzeit 1352.

Mit Zahlen lassen sich gut Statistiken erzeugen, der unabhängige Gesundheitsökonom Dr. Ernest Pichlbauer hat auch gleich ausgerechnet, dass der jahrelang vermutete Pflegekräftemangel aufgrund von und nur zum Teil angegebenen und geschätzten Zahlen entstanden ist, dieser wird nun mit den tatsächlichen Zahlen korrigiert und es entsteht zur Überraschung aller AkteurInnen – PflegeexpertInnen, GesundheitsökonomInnen und PolitikerInnen – ein Überschuss an Pflegekräften.

Der von Dr. Pichlbauer errechnete Überschuss scheint nur die PflegeexpertInnen zu interessieren oder besser gesagt zu irritieren, erleben sie doch ihre Praxis komplett konträr zu den vom Gesundheitsberuferegister gelieferten Zahlen. Beklagt werden die chronische Unterbesetzung, die Überlastung, die vielen Überstunden und die vielen freien Stellenangebote, die oft monatelang nicht besetzt werden können. Sie sehen sich in ihrer Wahrnehmung bestätigt, dass Theorie und Praxis – wie so oft – weit auseinanderklaffen.

Dr. Pichlbauer mutmaßt, dass offenbar die vielen im Register zur Verfügung stehenden Pflegekräfte zunehmend in den privaten Sektor (analog zu den WahlärztInnen) abwandern.

Ja, Pflege hat den privaten Sektor entdeckt. Aus der Not heraus. Durch das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz von 1997 und die Novelle von 2016 haben diplomierte Gesundheits- und KrankenpflegerInnen eine Vielzahl an Tätigkeiten selbständig übernommen – die Pflegeleistungen wie Pflegediagnostik, Pflegeberatung, komplementäre Pflegetherapie, Gesundheitsförderung, Erstellen von Pflegegutachten, Angehörigenbetreuung und -begleitung werden dringend von der Bevölkerung benötigt, jedoch gibt es trotz entsprechender Gesetzesgrundlage immer noch keine Leistungsverrechnung mit den Kassen, wenn es z.B. um die Weiterverordnung von Medizinprodukten geht. Hier wird, so scheint es, ganz bewusst Pflege strukturell behindert, offenbar gibt es hier eine unterschiedliche Auffassung darüber, inwieweit ein Gesetz umzusetzen ist. Daher müssen PatientInnen Pflegeleistungen privat bezahlen.

Auch die unterschiedlichen Gehälter im Vergleich Krankenhaus/Langzeitpflege sind fachlich nicht zu argumentieren und sorgen für einen Engpass in der Langzeitpflege. Es gibt viele Gründe, warum es so ist, wie es ist. Genauso viele Analysen gibt es, was es braucht, z.B. die Finanzierung aus einer Hand, nur um ein – oft gefordertes – Argument aufzugreifen.

Dr. Pichlbauer hat recht, dass der derzeitigen Diskrepanz zwischen den im Gesundheitsberuferegister aufscheinenden und den tatsächlich im öffentlichen Versorgungssystem tätigen Pflegepersonen nicht mit einer Alibi-Diskussion der Pflegelehre entgegengewirkt werden kann. Wir haben nicht zu wenig ausgebildete, sondern offenbar zuwenig im öffentlichen Gesundheitssystem tätige Pflegepersonen.

Neben den Arbeitsbedingungen und einer fairen Entlohnung – „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ – ist es zwingend erforderlich, die top ausgebildeten Pflegekräfte entsprechend ihrer Qualifikation selbstbestimmt und eigenständig arbeiten zu lassen und die Überflutung der berufsfremden Tätigkeiten, dazu zählen Sekretariatsarbeiten, Reinigungsarbeiten, Hol- und Bringdienste, stark zu reduzieren. Pflegeprofis wollen Betroffene beraten, Angehörige begleiten, in schwierigen Situationen unter Anwendung von erlernten Pflegekonzepten und Pflegemethoden professionell agieren und nicht Müllsäcke in den Keller tragen, den Boden am Abend wischen, weil keine Reinigungsfirma mehr zuständig ist, Betten von A nach B schieben und Essenspläne in den Computer tippen.

Pflege ist in allen drei Berufsgruppen top ausgebildet und gibt sich nicht mehr damit zufrieden, zuständig für alles zu sein.

Während GesundheitsökonomInnen Statistiken aktualisieren und sich wundern, PolitikerInnen mit Umfragen zur Pflegereform beschäftigt sind, nimmt die Pflege den Wandel selbst in die Hand, entwickelt sich weiter und nutzt die gesetzlichen Grundlagen, um entsprechende Strukturen, vorerst privat, aufzubauen.

Die PatientInnen brauchen uns, die Angehörigen profitieren von uns, die Pflegebedürftigen wollen uns und wir werden tun. Das Gesetz berechtigt uns, und wir setzen es um. Vorerst auf dem privaten Weg, in der Hoffnung, dass die aktuelle Regierung der Bevölkerung endlich die Pflegeleistungen – analog den medizinischen Leistungen – zur Verfügung stellt.

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